Online-Nachricht - Montag, 30.01.2023

Solidaritätszuschlag | Erhebung in den Jahren 2020 und 2021 nicht verfas­sungs­widrig (BFH)

Die Erhebung des Solidaritäts­zuschlags war in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht verfas­sungswidrig. Das SolZG 1995 i.d.F. der Bekannt­machung der Neufassung des Soli­daritäts­zuschlag­gesetzes v. 15.10.2002 (BGBl I 2002, 4130), geändert durch Art. 4 des 2. FamEntlastG v. 1.12.2020 (BGBl I 2020, 2616), verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 oder Art. 14 GG (BFH, Urteil v. 17.1.2023 - IX R 15/20; veröffent­licht am 30.1.2023).

Hintergrund: Ab dem Jahr 2021 wurden aus sozialen und konjunkturellen Gründen rund 90 Prozent der Steuer­pflichtigen von der Zahlung des Solidaritäts­zuschlags befreit. Nur Spitzenverdiener müssen seitdem die Ergänzungs­abgabe noch entrichten. In der Begründung des "Gesetzes zur Rückführung des Solidaritäts­zuschlags 1995" (s. hierzu unseren ReformRadar) wird ausgeführt, es bestehe weiterhin eine besondere wieder­vereinigungs­bedingte Finanzlast des Bundes, etwa in der Renten­versicherung, im Arbeitsmarkt, im Bereich der Anspruchs- und Anwartschafts­überführung und im Hinblick auf besondere Leistungen für die ostdeutschen Bundesländer (BT-Drucks. 19/14103 S. 1). In der Folge sank das Aufkommen aus dem Solidaritäts­zuschlag von rund 19 Milliarden € im Jahr 2020 auf rund 11 Milliarden im Jahr 2021.

Sachverhalt: Die Kläger wenden sich gegen die Festsetzung des Solidaritäts­zuschlags in den Jahren 2020 und 2021: Die Kläger zwei Eheleute - leisteten für das Jahr 2020 Einkommen­steuer­voraus­zahlungen. Dabei entrichteten sie im Rahmen der vierteljährlichen Vorauszahlungen auch Solidaritäts­zuschlag in Höhe von 453 € (bzw. später 340 €). Sie beantragten die Herabsetzung der Vorauszahlungen für den Solidaritäts­zuschlag auf 0 €. Zur Begründung beriefen sie sich auf das Auslaufen der Aufbauhilfen für die östlichen Bundesländer im Jahr 2019. Da eine Ergänzungs­abgabe nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden dürfe, verbiete dieser Ausnahme­charakter eine immerwährende Erhebung. Den Antrag auf Herabsetzung der Voraus­zahlungen lehnte das Finanzamt ab. Den gegen die Ablehnung gerichteten Einspruch wies das Finanzamt unter Hinweis auf seine Bindung an die Steuergesetze, von deren Verfassungsmäßigkeit es auszugehen habe, zurück.

Die auf Herabsetzung der Voraus­zahlungen gerichtete Klage hatte nur teilweise Erfolg. Das Finanzgericht der ersten Instanz änderte die Voraus­zahlungen für den Zeitraum ab dem 1.1.2021 in Übereinstimmung mit den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Bestimmungen auf vierteljährlich 19 €. Im Übrigen wies es die Klage unter Hinweis auf seine fehlende Überzeugung von der Verfassungs­widrigkeit des Solidaritätszuschlags ab. Beim Solidaritätszuschlag handele es sich um eine Ergänzungsabgabe i.S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG, deren Erhebung bis 2019 unstreitig nicht verfassungs­widrig gewesen sei. Dies gelte auch für 2020 und die Jahre ab 2021. Insbesondere habe der Solidaritätszuschlag nicht mit dem Auslaufen des Solidarpakts II und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs seine Rechtfertigung verloren. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) oder das Recht auf Eigentum (Art. 14 GG) liege ebenso wenig vor (FG Nürnberg, Urteil v. 29.7.2020 - 3 K 1098/19).

Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Revision. Sie sind der Auffassung, dass das SolZG 1995 seit dem Jahr 2020 keine Ermächtigungs­grundlage mehr in Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG finde, so dass die Erhebung des verfassungs­gemäß eingeführten Solidaritäts­zuschlags nunmehr gegen das GG verstoße. Der Gesetzgeber dürfe den Bürgern nur dann einen Solidaritäts­zuschlag auferlegen, wenn und soweit dieser einer Ergänzungsabgabe i.S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG entspreche. Der Solidaritäts­zuschlag sei eine Ergänzungs­abgabe (nur) zur Finanzierung der deutschen Einheit, er diene nicht der allgemeinen Finanzierung des Bundeshaushalts. Der Gesetzgeber habe das finanzielle Bedürfnis in der Folge der Wiedervereinigung als Begründung für die Erhebung der Ergänzungsabgabe bestimmt. Dies bedeute, dass sich das Zeitfenster für die Abschaffung des Solidaritätszuschlags aus dem Solidarpakt II ergebe, der 2005 an die Stelle des Solidarpakts I getreten sei. Aus Gründen der Folgerichtigkeit müsse bei Beendigung der Sonderlage, mithin des Solidarpakts II ab Ende 2019, auch die Erhebung der Ergänzungsabgabe enden.

Die Erhebung des Solidaritätszuschlags verletze zudem ihre Grundrechte. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) werde verletzt. Mit der Beschränkung des Solidaritätszuschlags auf wenige Steuerpflichtige werde der steuerliche Tarifverlauf verschoben und eine "Reichensteuer" eingeführt. Die steuerliche Belastungs­entscheidung werde nicht folgerichtig fortgeführt.

Dem folgten die Richter des BFH nicht:

  • Beim Solidaritätszuschlag handelte es sich in Jahren 2020 und 2021 um eine verfassungsrechtlich zulässige Ergänzungs­abgabe – eine Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht ist daher nicht geboten.
  • Eine Ergänzungsabgabe (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG) hat die Funktion, einen zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes ohne Erhöhung der übrigen Steuern zu decken. Die Abgabe muss nicht von vornherein befristet werden und der Mehrbedarf für die Ergänzungs­abgabe kann sich auch für längere Zeiträume ergeben. Allerdings ist ein dauerhafter Finanzbedarf regelmäßig über die auf Dauer angelegten Steuern und nicht über eine Ergänzungs­abgabe zu decken. Deshalb kann eine verfassungs­gemäß beschlossene Ergänzungsabgabe dann verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse, die für ihre Einführung maßgeblich waren, grundsätzlich ändern oder wenn eine dauerhafte Finanzierungslücke entstanden ist.
  • Der Solidaritätszuschlag sollte bei seiner Einführung im Jahr 1995 der Abdeckung der im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung entstandenen finanziellen Lasten dienen. Mit dem Auslaufen des Solidarpakts II und der Neuregelung des Länder­finanzausgleichs zum Jahresende 2019 hat der Solidaritätszuschlag seine Rechtfertigung als Ergänzungs­abgabe nicht verloren.
  • Eine zwingende rechtstechnische Verbindung zwischen dem Solidarpakt II, dem Länderfinanzausgleich und dem Solidaritätszuschlag besteht nicht. Zudem bestand in den Streitjahren 2020 und 2021 nach wie vor ein wieder­vereinigungs­bedingter Finanzbedarf des Bundes. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung auf diesen fortbestehenden Bedarf, der unter anderem im Bereich der Rentenversicherung und des Arbeitsmarkts gegeben war, hingewiesen. Er hat weiterhin schlüssig dargelegt, dass die Einnahmen aus dem ab 2021 fortgeführten Solidaritäts­zuschlag zukünftig die fortbestehenden wieder­vereinigungs­bedingten Kosten nicht decken werden.
  • Dass sich diese Kosten im Laufe der Zeit weiter verringern werden, hat der Gesetzgeber mit der ab dem Jahr 2021 in Kraft tretenden Beschränkung des Solidaritäts­zuschlags auf die Bezieher höherer Einkommen und der damit verbundenen Reduzierung des Aufkommens in Rechnung gestellt. Aus dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritäts­zuschlags wird daher deutlich, dass der Gesetzgeber diesen nicht unbegrenzt erheben will, sondern nur für eine Übergangszeit.
  • Ein finanzieller Mehrbedarf des Bundes, der aus der Bewältigung einer Generationenaufgabe resultiert, kann auch für einen sehr langen Zeitraum anzuerkennen sein. Dieser Zeitraum ist beim Solidaritätszuschlag jedenfalls 26 bzw. 27 Jahre nach seiner Einführung noch nicht abgelaufen.
  • Da der ursprüngliche Zweck für die Einführung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht entfallen war, kommt es auf eine mögliche Umwidmung des Zuschlags für die Finanzierung der Kosten der Coronapandemie oder des Ukraine-Krieges nicht an.
  • Der Solidaritätszuschlag verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Ab dem Jahr 2021 werden aufgrund der erhöhten Freigrenzen nur noch die Bezieher höherer Einkommen mit Solidaritätszuschlag belastet.
  • Die darin liegende Ungleichbehandlung ist gerechtfertigt. Bei Steuern, die wie die Einkommensteuer und damit auch der Solidaritätszuschlag an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet sind, ist die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zulässig. Daher kann auch der Gesetzgeber beim Solidaritäts­zuschlag, der im wirtschaftlichen Ergebnis eine Erhöhung der Einkommen­steuer darstellt, sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragen und diesen auf Steuerpflichtige mit hohen Einkünften beschränken. Vor diesem Hintergrund ist die ab 2021 bestehende Staffelung des Solidaritätszuschlags mit Blick auf das Sozialstaats­prinzip des Grundgesetzes gerechtfertigt.

 
Quelle: BFH, Pressemitteilung v. 30.1.2023 zum BFH-Urteil v. 17.1.2023 - IX R 15/20, veröffentlicht auf der Homepage des BFH (il)

 
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